Der BGH hat in einer
aktuellen Entscheidung (
BGH,
31.01.2017 - X ZB 10/16; vorhergehend KG Berlin Verg 12/15) festgestellt,
dass nicht nur für Auftraggeber eine Verpflichtung besteht, ungewöhnlich
niedrige Angebote auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen, sondern das
konkurrierende Bieter auf die Durchführung und Dokumentation dieser Prüfung
einen einklagbaren Anspruch haben.
Das in Vergabeverfahren eine Preisprüfung
durchgeführt werden muss, wenn die entsprechenden Aufgreifschwellen (siehe hierzu sogleich)
erreicht wurden, ist nichts neues, wird aber in der Praxis teilweise unzureichend dokumentiert oder ganz vernachlässigt. Daher sollte das jetzt ergangene Urteil als Anregung genommen
werden, ein größeres Augenmerk auf die Prüfung der Preisbildung von Angeboten
und der diesbezüglichen Dokumentation zu legen. Das bedeutet, dass sich die Preisprüfung nicht auf die Erstellung eines Preisspiegels und Auswertung der Einzelpositionen beschränken, sondern auch einen Vermerk zur Angemessenheit der Preise
enthalten sollte.
Im Folgenden eine
kurze Darstellung der Anforderungen an die Preisprüfung:
Aufgreifschwelle
Eine Pflicht zur
nähere Prüfung der Preisbildung besteht, wenn die sog. Aufgreifschwelle
erreicht ist. Die Aufgreifschwelle ist jedenfalls erreicht, wenn der
Preisabstand zwischen dem günstigsten Angebot 20 % oder mehr zu dem
nächsthöheren Angebot beträgt, wird in der Rechtsprechung aber auch teilweise
bereits bei 10 % Preisabstand gesehen. Betrachtet wird hier grundsätzlich der
Gesamtpreis der Angebote, nicht die einzelnen Positionen. Darüber hinaus kann
sich die Frage der Unangemessenheit eines Preises nicht nur aufgrund des
signifikanten Abstandes zum nächstgünstigen Gebot im selben Vergabeverfahren
stellen, sondern gleichermaßen etwa bei augenfälliger Abweichung von in
vergleichbaren Vergabeverfahren oder sonst erfahrungsgemäß verlangten Preisen
(= Kostenschätzung (!)).
Preisprüfung
Ist die
Aufgreifschwelle erreicht, so hat der öffentliche Auftraggeber die
Zusammensetzung des Angebots zu überprüfen. Diese Prüfung kann insbesondere die
Wirtschaftlichkeit des Fertigungsverfahrens einer Lieferleistung oder der
Erbringung der Dienstleistung, die gewählten technischen Lösungen oder die
außergewöhnlich günstigen Bedingungen, über die das Unternehmen bei der
Lieferung der Waren oder Erbringung der Dienstleistung verfügt, die
Besonderheiten der besonderen Liefer- oder Dienstleistung sowie die Einhaltung
der Verpflichtungen nach § 128 Abs. 1 GWB oder die
Gewährung einer staatlichen Beihilfe betreffen.
Bei der Vergabe von
Bauleistungen (im Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen) prüft der Auftraggeber die Angemessenheit des
Preises - abgesehen von einem möglichen Zusammenhang mit der Nichterfüllung
umwelt- oder sozial- und arbeitsrechtlicher Anforderungen - anhand der
üblicherweise im Zusammenhang mit der Angebotseinreichung vorliegenden oder
angeforderten Unterlagen über die Preisermittlung des betreffenden Bieters.
Reicht dies nicht aus, um die Angemessenheit befriedigend beurteilen zu können,
gibt der Auftraggeber dem Bieter weitere Gelegenheit zur Aufklärung über die
Bildung seiner Preise oder Kosten für die Gesamtleistung oder für
Teilleistungen und prüft zur Beurteilung der Angemessenheit die betreffende Zusammensetzung
unter Berücksichtigung der gelieferten Nachweise.
Die Vergabe- und
Vertragsordnung für Bauleistungen enthält hierzu zwar keine weiteren
detaillierten Angaben. Es können jedenfalls aber die Angaben verlangt werden,
die
Art. 69
Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU - für alle Arten von Leistungen
- vorsieht. Dazu gehören Angaben zur Wirtschaftlichkeit des
Fertigungsverfahrens, der Erbringung der Dienstleistung oder des Bauverfahrens,
zu den gewählten technischen Lösungen oder allen gegebenenfalls außergewöhnlich
günstigen Bedingungen, über die der Bieter bei der Lieferung der Waren oder der
Erbringung der Dienstleistung sowie bei der Durchführung der Bauleistungen
verfügt, und sonst zur Eigenart der angebotenen Bau-, Liefer- oder
Dienstleistungen.
Rechtsfolge
Kann der öffentliche
Auftraggeber die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen
Kosten mit der Prüfung nicht zufriedenstellend aufklären, darf er den Zuschlag
auf dieses Angebot ablehnen (§ 60 Abs. 3 VgV).
Dem Auftraggeber ist
hierbei ein rechtlich gebundenes Ermessen eingeräumt. Die Verwendung des Verbs
"dürfen" in § 60 Abs. 3 VgV ist nach Ansicht des BGH nicht so zu
verstehen, dass es im Belieben des Auftraggebers stünde, den Auftrag trotz weiterbestehender
Ungereimtheiten doch an den betreffenden Bieter zu vergeben. Die Ablehnung des
Zuschlags ist vielmehr grundsätzlich geboten, wenn der Auftraggeber
verbleibende Ungewissheiten nicht zufriedenstellend aufklären kann. Bei der
Beurteilung der Anforderungen an eine zufriedenstellende Aufklärung
berücksichtigt der Auftraggeber Art und Umfang der im konkreten Fall drohenden
Gefahren für eine wettbewerbskonforme Auftragserledigung.
Diese Regelung gilt
gleichermaßen für die Vergabe von Bauleistungen.
Dokumentation
Die Dokumentation
sollte einen Vermerk enthalten, aus dem hervorgeht, ob die Aufgreifschwelle
entweder auf Grund des Preisabstandes oder aus anderen Gründen erreicht ist
oder nicht. Ist sie erreicht, sollte die weitere Prüfung der Preise - inklusive Festlegung der Anforderungen an eine zufriedenstellende Aufklärung - sowie das Ergebnis der Preisprüfung beschrieben werden.